Integraler Yoga

Bild: Matrimandir – Auroville

Lehre und Weg von Sri Aurobindo und Der Mutter (Mirra Alfassa)

Hinter der Erscheinung und Manifestation des Universums liegt eine Wirklichkeit von reinem Sein und Bewusstsein, ein Selbst aller Dinge, das Eins ist und ewig – Sri Aurobindos Lehre gründet sich zunächst auch auf dieses alte Wissen der vedischen Seher und Weisen. Er hält jedoch fest, dass dieses Eine Wesen und Bewusstsein hier in der Materie enthalten, einbezogen und gefangen ist und betont, dass Evolution die Methode ist, durch die es sich befreit; danach erscheint Bewusstsein im scheinbar Unbewussten – einmal hervorgetreten ist Bewusstsein aus sich selbst heraus dazu gezwungen zu wachsen, sich zu erweitern und sich zu immer grösserer Perfektion zu entwickeln.
Sri Aurobindo argumentiert, dass Evolution nur möglich ist, weil sich das Göttliche, oder göttlicher Geist am Anfang der Schöpfung bereits im materiellen Universum ,eingebunden’ oder ,versteckt’ hat. Geist liess sich seit Beginn der Schöpfung mit Materie ein, aus welcher das Universum geschaffen wurde.
Die scheinbar unbewusste Materie ist daher in Wirklichkeit nur verkleideter Geist. Evolution bedeutet die graduelle Entfaltung dieses verborgenen Geistes. Materie, Leben und menschlicher Verstand sind die verschiedenen Ausdrucksarten des Geistes in den verschiedenen Phasen der Evolution; das in die Materie verwickelte Göttliche tritt durch seine schöpferische Kraft in immer bewussteren Formen hervor. Durch die allmähliche Manifestation dieses verborgenen Geistes und göttlicher Wirklichkeit in der materiellen Welt, vollendet der Prozess der Evolution einen Zyklus.
Ohne diese innere Bedeutung, hält Sri Aurobindo fest, würde das Wort Evolution „das Phänomen lediglich nennen aber nicht erklären” – denn etwas kann nicht aus dem Nichts heraus entstehen. Wie sonst könnte sich Leben aus materiellen Elementen entwickeln, oder Geist aus einer lebenden Form, wenn die Möglichkeit einer solchen Entwicklung nicht bereits in Materie verborgen enthalten wäre, als omnipotentes Göttliches Bewusstsein?
Der Prozess der Evolution ist daher nicht nur eine mechanische Entwicklung ohne Grund und Ziel, wie es von aussen erscheinen mag, sondern eine graduelle Entfaltung und Entlassung des verborgenen göttlichen Bewusstseins in die Materie. Leben in Pflanzen und Tieren ist der erste Schritt, denkende Wesen der zweite. Aber menschlicher Verstand und Intellekt sind nicht die höchste Entwicklung göttlichen Bewusstseins, da beide nicht die Wahrheit besitzen.

Der nächste evolutionäre Schritt muss daher die Entwicklung eines höheren Bewusstseins als die bisherigen denkenden Fakultäten und die bisherigen geistig-mentalen Eigenschaften sein – die Entwicklung eines sog. Supramentalen Bewusstseins, in welchem Geist zur dominierenden Kraft geworden ist. Weil sich erst dann „die vorhandene Göttlichkeit in den Dingen” entlassen und befreien kann und es möglich wird, dass Leben als solches eine Perfektion manifestieren kann. Der Mensch als höchste Lebensform auf Erden hält in Sri Aurobindos Sicht zu dieser Perfektionierung eine Schlüsselposition – eine Umwandlung muss geschehen, während der sich Verstand und Geist mit ihrer gegenwärtigen Begrenzung in ein höheres Prinzip verwandeln.
Dies geschieht durch die alte psychologische Disziplin und Praxis von Yoga. In der Vergangenheit, oder wie es Sri Aurobindo ausdrückt, im ,alten Yoga’ wurde dies durch eine Abwendung von der Welt angegangen, durch innere Expansion des Bewusstseins, ein Entkommen und Verschwinden in das Selbst oder reinen Geist. Dagegen lehrt Sri Aurobindo, dass eine Herabkunft dieses höheren Prinzips möglich ist, welche das Selbst nicht wie vorher aus der Welt heraus befreit, sondern in die Welt entlässt, aber gleichzeitig die Unwissenheit des Verstandes oder sein begrenztes Wissen durch ein supramentales Wahrheitsbewusstsein ersetzt. Der Yoga (Weg) wird dazu benützt, alle Teile des Wesens für die Umwandlung und Transformation zu öffnen, durch ein Herabkommen dieses höheren, immer noch verborgenen supramentalen Prinzips.
Im Integralen Yoga meint Vervollkommnung grundsätzlich nicht nur oberflächliche Veränderung oder Verfeinerung unserer Natur in moralischer Hinsicht.
Es geht hier um eine genuine Transmutation des inneren Wesens und – letztlich auch der äusseren Natur – eine Umwandlung des Körpers. In diesem Zusammenhang waren die Erfahrungen der Mutter in den letzten 22 Jahren Ihres Lebens eine wichtige Station. Mit wissenschaftlicher Exaktheit und Gewissenhaftigkeit vollzog sie in innerer Arbeit eine noch nie unternommene Pioniertat – die Exploration des Bewusstseins des Körpers. Sie ging den Weg zurück zu den Anfängen in denen die Materie geformt wurde und entdeckte dabei gewissermassen das zelluläre Denken, den primordialen Code, der über den Mechanismus des Todes entscheidet.
An ihrem eigenen Körper trieb sie eine eigentliche experimentelle Evolution voran und machte so die nötigen ersten Erfahrungen mit der Umwandlung des Bewusstseins der Zellen.

Prinzip des Integralen Yoga

Der Prozess der inneren Reinigung und der Selbstdisziplin, welcher von Sri Aurobindo und der Mutter entwickelt wurde, ist unter dem Begriff ,Integraler Yoga’ (Purna Yoga) bekannt. Das Prinzip des Integralen Yoga ist ein bewusstes, dauerndes und vollumfängliches ,sich Hingeben’ an die schöpferische und transformative Kraft des Göttlichen, besonders aber an die höchste Kraft der Göttlichen Mutter.
Durch diese Selbsthingabe dringen die Eigenschaften des Göttlichen in das menschliche Wesen ein, vervollkommnen so allmählich seine Natur und transformieren schliesslich seinen Verstand und Geist (Mental), sein Leben (Vital) und seinen Körper.
Der hauptsächliche Prozess der hinter der Erscheinung aller äusseren Aktivitäten still vor sich geht, ist daher Selbst-Hingabe an die Kraft der Göttlichen Mutter. Der vorgängige Zweck aller Tätigkeiten ist nicht die Erfüllung praktischer oder wirtschaftlicher Bedürfnisse, sondern die Schaffung eines Umfelds, in dem man durch solche Arbeit spirituell wachsen kann. Die Natur der Arbeit ist nicht mehr wichtig, wenn alle Arbeiten in einem Geist von Hingabe und Widmung an die Göttliche Mutter’ ausgeführt werden. Es ist eher diese innere Haltung als äusseres Gelingen, das die Essenz aller Arbeit ausmacht.
Da das Ziel einer Selbst-Vervollkommnung der eigenen Natur mit einer schliesslichen Transmutation von Geist und Körper jenseits aller menschlichen Bestrebung und Kapazität liegt, geschieht Perfektionierung hier nur als ein Resultat der direkten transformativen Kraft und Entwicklung der Göttlichen Mutter, welche alleine die Macht hat, im Menschen solche eine integrale Umwandlung hervorzubringen.

Quelle: SABDA-Buchkatalog (2005)

Definition des Integralen Yoga gemäss Wikipedia

Der Integrale Yoga von Sri Aurobindo und Mirra Alfassa ist sehr reichhaltig und vielschichtig. So umfasst Sri Aurobindos Gesamtwerk ca. 30 Bücher, wovon die Hauptwerke jeweils aus mehreren hundert Seiten bestehen.
Mirra Alfassa (die Mutter) hat das Buch „Sri Aurobindo oder Das Abenteuer des Bewusstseins“ von Satprem (siehe Buchtipp unten) als ideale einführende Lektüre in den Integralen Yoga empfohlen.